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Der digitale Zwilling – doppelter Nutzen dank IoT

Der „Digitale Zwilling“ gehört inzwischen zu den gut bekannten Begriffen der Digitalisierung. Hinter ihm verbirgt sich ein exaktes, digitales Abbild eines real existierenden Elementes, z. B. die 3D-Animation eines neuen Fahrzeug-Prototyps. Doch bis das Konzept eines digitalen Abbilds so umgesetzt werden kann, dass sich daraus ein echtes Werkzeug für die Planung, Produktion und Prozesse der unterschiedlichsten Geschäftsfelder ergibt, ist es ein ordentliches Stück Arbeit.

Ein Artikel von
David Hoffmann

Lesezeit: ca. 4 Minuten

Der digitale Zwilling am Beispiel eines Autos

Dieser Aufwand sollte jedoch keineswegs abschreckend wirken, denn mit dem richtigen Entwicklungspfad und Schlüsseltechnologien wie dem „Internet of Things“ (IoT), ergeben sich viele kleine, tragende Elemente, die durch eigene Wertschöpfung bereits auf bestehende Geschäftsprozesse einzahlen. 
Diese Elemente beziehen sich neben der Entwicklung zum Beispiel auf die eigene Intralogistik, die Fertigung oder den After Sales- und Servicebereich. Überall dort fallen bereits heute mehrheitlich Daten an, die in der richtigen Form und Interpretation dafür sorgen, dass sowohl der digitale, als auch der physische Zwilling – also das Produkt, die Maschine, das Auto selber – wachsen und an Wert gewinnen kann. Wie etabliert das Konzept des Digitalen Zwillings bereits ist, lässt sich an der modernen Produktentwicklung im Automotive-Sektor beobachten. Auch das Thema „Building Information Modeling“ (BIM) in der Gebäudewirtschaft ist weitaus mehr als nur ein kurzfristiger Trend. 

Der Digitale Zwilling: Abgrenzung der Begrifflichkeiten

Bevor wir jedoch richtig einsteigen eine kurze Definition und Abgrenzung der einzelnen Protagonisten, denen man unweigerlich begegnet, sobald vom Digital Twin die Rede ist:

Der Digitale Zwilling bezieht sich auf das virtuelle Abbild eines physischen Produkts oder einer physischen Anlage und umfasst z. B. ein 3D-Modell auf Basis der CAD-Zeichnungen des Objekts, Materialeigenschaften und – falls vorhanden – eine virtuelle Abbildung der Automatisierungsfunktionen. Dies kann im Falle von Anlagenschemata soweit gehen, dass auch die Bewegungsmuster und Eigenschaften von Aktoren und Sensoren mit einer virtuellen speicherprogrammierbaren Steuerung (SPS) verknüpft werden und auch die jeweilige Steuerungssoftware mit integriert wird.

Ergänzt wird ein solches Modell mit Umweltfaktoren, die auf Basis von Expertenwissen vorab definiert werden, und entweder ein zu erwartendes Verhalten vorgeben oder auf Basis von historischen Daten erarbeitet werden.

Das physische Produkt kann je nach Situation der erst- oder zweitgeborene in diesem Konstrukt sein und wird auf exakt der gleichen Datenbasis gefertigt, auf der auch das virtuelle Pendant beruht – oder ist die Basis, auf der der Digitale Zwilling aufgebaut wird.

Sobald das Produkt in Auftrag gegeben wird, entsteht ein weiterer, wertvoller Hebel, um diese Welten zu verknüpfen und als Werkzeug zu schärfen – der sogenannte Digitale Schatten des physischen Produkts. Dieser setzt sich aus sämtlichen Daten zusammen, die bei der Fertigung und dem Betrieb oder der Nutzung des Produkts entstehen. Werden diese nicht nur lokal und temporär gespeichert, entsteht eine Vielzahl von nutzenstiftenden Optionen für Hersteller und Anwender.

Um nun das virtuelle Modell mit der Realität zusammenzuführen und möglichst viele Erkenntnisse aus den Simulationen des Digitalen Zwillings abzuleiten, können die Schätzwerte zu den Umweltfaktoren durch den Digitalen Schatten ergänzt und stabilisiert werden.

Doch wie startet man in ein solches Szenario und wie hoch ist der Aufwand, um gleich zwei parallele Welten zu erschaffen und diese dann auch noch zusammen zu führen?

Die Basis des Digital Twin

Produktdesign und -entwicklung auf der Basis von Software umzusetzen, ist seit vielen Jahren Standard, somit liegen CAD-Zeichnungen, FEM-Berechnungen, Verrohrungsplanung, Elektroplanung und Steuerungsprogramme ohnehin in digitaler Form vor.

Auch Auftragseingänge, Fertigungsplanung, Maschinensteuerung und die Personalplanung sind vorhanden, um bereits bestehende Produkte herzustellen, zu transportieren und um Serviceeinsätze zu dokumentieren. All diese Daten, Fakten und Planungen sind die Basis für den Aufbau des Digitalen Zwilling. Doch wie wird das Konstrukt nutzbar?

Der Schlüssel liegt im richtigen Pfad zur Nutzung des Digitalen Zwilling und darin, all diese vorliegenden Daten zu filtern, zu sortieren und in der richtigen Form zusammenzuführen. Hierzu eignet sich das Internet of Things als Vermittler zwischender physischen und der digitalen Welt.

IoT als Enabler für den Digitalen Schatten

Betrachtet man ein fiktives, produzierendes Unternehmen, dann entsteht der Vorbote des Digitalen Schattens mit dem angestoßenen Kaufprozess und damit dem ersten Datensatz, der aus der „ERP-Welt“ angestoßen wird:

Ein Auftrag wird an die Produktionsplanung übergeben, durchläuft die physischen Fertigungsprozesse und wächst an jeder Station um die jeweiligen Zustands- und Anlagendaten an, die zum Zeitpunkt der Herstellung von den vernetzten Maschinen erzeugt und ausgegeben werden. Dies setzt eine zentrale Datenhaltung voraus, an der sowohl die IT-Systeme aus der Auftragsplanung (ERP-Systeme), die Produktionsebene (Leittechnik, MES etc.) als auch die lokalen Zustandsdaten aus den Fertigungsmaschinen und –Anlagen angebunden sind.
Die Schlüsseltechnologie, die all diese Teilgewerke zusammenführt, findet sich in IoT-Infrastrukturen, die als „Mittler“ zwischen den einzelnen (Software-) Systemen auftreten.

Ohne tief in die bestehenden Systeme eingreifen zu müssen und die laufende Fertigung oder Auftragsabwicklung zu stören, können Betriebsmittel in einer lokalen IoT-Plattform verfolgt werden, um Maschinendaten aus der Fertigung mit einzelnen Aufträgen zu verbinden. Dadurch gewinnt man nicht nur deutlich mehr Transparenz über die eigenen, innerbetrieblichen Abläufe, sondern erhebt auch gleich die Basisdaten zu jedem einzelnen Produkt. Als positiver Nebeneffekt ergibt sich zudem gleich ein Abbild zum Produktionsprozess mit wertvollen Informationen zu Rüstaufwänden, Störungen und einer detaillierten Dokumentation zu sämtlichen Chargen. Ein IoT-basiertes Betriebsmittelmanagement verknüpft also das Auftragshandling mit der Leitebene der Fertigung und den Betriebsmitteln, die neben den einzelnen Maschinen eingesetzt werden. Zur Implementierung einer solchen IoT-Basis muss nur minimal und häufig ohne Unterbrechung, in die laufende Produktion eingegriffen werden.

Im Ergebnis steht bis zum Zeitpunkt der Auslieferung des fertigen, physischen Produkts also ein vollständiges virtuelles Abbild zur Verfügung – und damit auch eine Dokumentation aus sämtlichen Einzel- und Teilsystemen die zur Herstellung im Einsatz waren. Das gewonnene Wissen zum Produkt kann nun – je nach Art und Anwendungsfall z. B. mit Telemetriedaten weiter wachsen und angereichert werden

Durch den Digitalen Zwilling Mehrwerte schaffen

Deutlich wird: Durch den Einsatz von IoT-Technologien werden die Daten des Digitalen Schattens erst wirklich nutzbar – und so hat ein IoT-fokussierter Ansatz maßgeblichen Anteil daran, dass der Einsatz eines Digitalen Zwillings zur Wertschöpfung und Aufwandsoptimierung beiträgt, z. B. durch die

  1. Generierung von Mehrwerten
    Werden Zustandsdaten des fertigen Produktes erhoben und analysiert, lassen sich auf dieser Basis mit Hilfe individualisierbarer Micro-Services eine Vielzahl von Use-Cases realisieren, die erhebliche Einsparungen im Wartungsfall bringen, den Funktionsumfang des Produkts erweitern oder die Bedienung (auch aus der Ferne) erleichtern.

  2. Entstehung von Komfort-Funktionen für Kunden und Anwender
    Neben der Zusammenführung der Daten aus der Fertigung und der Nutzung beider Zwillinge, könnten individuelle Auswertungen, Kennzahlen und OEEs ausgegeben, Dokumentationen und Serviceanfragendirekt am virtuellen Produkt abgerufen und sogar Nutzungsoptimierungen und Updates, bis hin zu Predictive-Maintenance-Funktionen auf Basis eines IoT-Twins umgesetzt werden.

  3. Erweiterung des Geschäftsmodells
    Nicht erst seit dem Beginn der Pandemie ist der Mehrwert von Remote-Funktionen und dem ortsunabhängigen Zugang zu Maschinen, Anlagen und Produkten bekannt – wenn auch die Notwendigkeit für entsprechende Funktionen noch einmal drastisch gestiegen ist. Die Pandemie-Situation hat außerdem die Notwendigkeit deutlicher Veränderungen in Geschäftsmodellen gezeigt – der Wunsch nach mehr Flexibilität und Agilität steht knapperen, finanziellen Ressourcen gegenüber. Hier können Realdaten zum Nutzungsverhalten als Basis für schlanke, komfortable Pay-per-Use und Mietkonzepte dienen.

Digitaler und analoger Zwilling – lebenslang verbunden

An dieser Stelle schließt sich nicht nur langsam der Kreis des Produktlebenszyklus, auch der Digitale Zwilling durchläuft alle möglichen Zustände des Produkts und sorgt für eine ganzheitliche Basis auf der nun geforscht, entwickelt, getestet und gespielt werden darf. Der Frage, ob das neue Ziel ein schlankeres Produkt, eine höhere Verfügbarkeit oder eine effizientere Fertigung begünstigen soll, liegt nun eine valide und realitätsnahe Datenbasis zu Grunde. Um auf dem Weg dorthin entsteht nicht nur mehr Transparenz, sondern fast beiläufig ist bereits ein erweitertes Produkt, mit optimierter Fertigung und transparenter Informationsbasis für weitere Entwicklungen entstanden.

 

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David Hoffmann ist Account Manager bei der com2m

David Hoffmann ist IoT Account Manager bei der com2m.

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